StartAktuellesKurios:Im Nordosten tobt der Wasserkampf

Kurios:Im Nordosten tobt der Wasserkampf

– von Thomas Rietig – Zwischen Oder und Elbe schwelen seit mehr als einem Jahrzehnt heftige Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und Bürokraten über den „Anschluss- und Benutzungszwang“ für Abwasseranlagen. „Wegen Wasser sind schon Kriege geführt worden“, sagt der Güstrower Rechtsanwalt Ewald Pydde. Meist ging es dabei um mangelnden Zugang zu Frischwasser; Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind aber mit Flüssen und Seen reich gesegnet.

Hier geht es ums Abwasser. Genauer: um die Neuordnung der Wasserwirtschaft auf kommunaler Ebene, die auf die ungeordneten Strukturen der DDR-Zeiten folgte. Vor der Wende zeugten massenweise schwarz gebaute Datschen an Ufern und in Wäldern vom Ideenreichtum der DDR-Bürger, sich entweder staatlichen Zwängen zu entziehen oder ihre Einbindung in Seilschaften optimal zu nutzen. Individuellen wie amateurhaften Lösungen zur Abwasserbeseitigung kam die Lethargie des Apparats dabei entgegen.

Neue Wassergesetze

Beim Aufbau der Verwaltung in den neuen Ländern wurde daher mit Wassergesetzen die Grundlage für einen Zwang geschaffen, jedes erschlossene Grundstück an die Kanalisation anzuschließen. Die Ausführung delegierte das Land an die Kommunen.

Die Kosten für Bauarbeiten und Rohrleitungen, oft im fünfstelligen Euro-Bereich, trugen die Nutzer. Durch die teuren Anlagen fließen bei so mancher Datsche pro Jahr Abwässer, die gerade mal den einstelligen Euro-Bereich erreichen.

Einige Betroffene entschieden sich für Widerstand, weil sie bereits für eigene Wasser- und Abwasseranlagen gesorgt hatten. Oder weil sie mutmaßten, dass das Land die anschließend erhobenen Gebühren zur Finanzierung überdimensionierter Wasserwirtschaftsanlagen nutzen wolle.

Hungerstreik 2000

Berühmt wurde eine Frau aus dem brandenburgischen Briesensee, die eine eigene Kleinkläranlage hat und den Anschluss deshalb verweigerte. Sie wehrte sich 2000 mit einem Hungerstreik und vor Gericht und wurde 2008 mit einem Polizeieinsatz von ihrem Grundstück getragen, damit der Zwangsanschluss gegen ihren Willen umgesetzt werden konnte. Das brachte ihr unter anderem ein Verfahren wegen Widerstandes ein. Noch immer sind Entscheidungen vor Oberverwaltungsgerichten anhängig, und in Anbetracht der inzwischen mehrfach gerichtlich festgestellten Nichtigkeit von Bescheiden und Satzungen ist der Gang nach Karlsruhe nicht ausgeschlossen, wie Pydde berichtet.

Er und einige Kollegen analysierten, dass die Vorgaben der zugrunde liegenden EU-Richtlinien und des Wasserhaushaltsgesetzes der Bundesrepublik im brandenburgischen Gesetz nur unzureichend erfüllt und diese deshalb unwirksam sein könnten, zu schweigen von den kommunalen Verordnungen.

Zitiergebot verletzt

Laut Pydde, der einige „Abwasserrebellen“ vertritt, gibt es in Brandenburg „keinen Anschlusszwang von Gesetzes wegen“, weil in den Texten das Zitiergebot verletzt worden sei, mit dem ausgeführt werden muss, welche Grundrechte durch die jeweiligen Gesetze eingeschränkt werden.

Der Anwalt hängt die in den beiden Ländern üblichen Vorgehensweisen von Behörden und Justiz sehr hoch. Für ihn ist bewiesen, dass das Oberverwaltungsgericht Greifswald sich an der Ausarbeitung von Gesetzen beteiligt, was dem Grundsatz der Gewaltenteilung widerspreche. „Wie soll der Bürger denn da noch an die Unabhängigkeit der Justiz glauben?“ Behörden verletzten das Demokratieprinzip, weil sie „immer nur die Einnahmenseite“ sähen, kritisiert er.

Wer aber nun glaubt, das sei eine Eigenheit der neuen Länder, dem hält er entgegen: „Neulich hat mich ein Bürger aus Baden-Württemberg angerufen. ‚Glaubt bloß nicht, dass Ihr damit alleine seid‘, hat er gesagt, ‚wir hatten das auch in den 60er-Jahren.'“

dapd.djn/rg/pon

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