Das Wohnhaus Götz Werner in Karlsruhe Durlach ist von der besonderen Art.
Der erste Eindruck ist ruhig und freundlich: rosa und blau getünchte Wände und viel Glas. Kaum tritt man durch die knallrote Tür an der Straße, stößt man auf die erste Skulptur. Und wenn sich die Innenräume dem Besucher öffnen, wird deutlich: Das Kunsthaus-Durlach trägt seinen Namen zu Recht. In der Architektur längst als „Wohnhaus Werner“ bekannt, steht es für das Konzept der gelebten Anthroposophie – der Mensch soll im Gleichklang mit der Natur leben.
Ein Gedanke, der uns heute völlig selbstverständlich scheint. Als Rudolf Steiner, der geistige Vater der Anthroposophie, ihn vor 100 Jahren formulierte, war er jedoch revolutionär. Was außen beginnt, wird im Haus weitergeführt: Es wirkt organisch, lebendig, mit runden Ecken und gebrochenen Linien. Farben und Formen fesseln die Aufmerksamkeit in den Räumen des nach einer mehrjährigen Bauphase 1994 fertiggestellten Gebäudes. Blauer Holzboden harmoniert mit Rot und Orange getünchten Wänden sowie fließenden Formen.
Asymetrische Architektur im Wohnhaus Werner
Augenblicklich fällt die Asymmetrie der offenen Bauweise, die organische Architektur ins Auge. Der Erbauer hat zwar rechte Winkel in seine Arbeit einfließen, sich aber nicht von ihnen bestimmen lassen. Das Haus ist nicht nur Ausdruck von Gesellschaft und Kultur, sondern nimmt auch umgekehrt Einfluß auf das äußere und innere Leben des Menschen. In einer Zeit, in der das Baugeschehen stark durch wirtschaftliche Faktoren, technische Innovationen und bürokratische Restriktionen beherrscht wird, strebt diese organische Architektur eine integrale Arbeitsweise an, die auch Erlebniswerte, kulturelle Inhalte und Spiritualität umfaßt.
Ein Ort des Entstehens In dieser Verbindung von Kunst und Ingenieurtechnik leben und arbeiten Bildhauerin und Malerin Chai Min Werner sowie ihr Ehemann, der Musiker Johannes Hustedt. Vor vier Jahren zogen sie in das zuvor privat genutzte Haus in der Geigersbergstraße, um ein neues, künstlerisches Konzept zu schaffen: Ein halböffentlich genutzter Raum, sowohl ein Zuhause als auch ein Ort der Begegnung. „Es ist als Privathaus konzipiert, aber ideal als Veranstaltungsort geeignet“, sagt Werner über das Haus. Anzahl der Quadratmeter? Schulterzucken: „Es ist, wie es ist.“
Wohnhaus Werner alias Kunsthaus Karlsruhe Durlach
Gewunden führt der Weg in die obere Etage. „Für uns war wichtig, einen Teil des Gebäudes öffentlich begehbar zu machen.“ Mit den Ateliers im Keller, den privaten Räumen im oberen Bereich sowie dem großen Hauptraum im Erdgeschoss ließ sich dieser Wunsch ideal umsetzen. Der Weg führt an einem mit Kacheln besetztem Gebilde vorbei, die Oberfläche ist warm – innenliegende Rohre heizen sie auf. Nahtlos schließt der Hauptraum an. Auch hier finden sich, ob an der Deckenführung oder dem Interieur, weiche und fließende Formen.
Lichtkonzeption und Leuchtengestaltung tragen unter anderem die Handschrift der Schemmerberger Firma Collin Licht. „Wir benötigten spezielle Räume“, fügt Hustedt an. „Meine Frau ist Bildhauerin und da kann die Arbeit schon einmal laut werden, ich bin als Musiker auf Ruhe angewiesen. Dies haben wir hier gefunden.“ Das Konzept geht auf: Ob Ausstellungen oder Besuche von Architekturklassen – das Spektrum ist breit gefächert. Schwebende Formen – Im Kunsthaus warten keine komplett separierten Stockwerke auf den Besucher, sondern räumliche Auflockerung durch Zwischenetagen. Decken scheinen ineinander zu greifen oder wechseln sich mit Verglasungen ab, durch die man in den Himmel blicken kann. Die Bauweise unterstreicht den Begegnungsgeist des Hauses mit seinen einfachen, natürlichen Materialien in jeder Form. Im Erdgeschoss wird die einzig weiße Wand von einem schwarzen Flügel kontrastiert, die farbigen Wände weisen wenig Brüche auf und scheinen ineinander zu fließen.
Die Atmosphäre ist durch großzügigen Glaseinsatz hell und warm. Die Flächen sind der Sonne nach ausgerichtet und sorgen für niedrigen Energieverbrauch. Wer ein wenig näher hinschaut, stößt auf weitere Besonderheiten: Keine Türen grenzen die Räume im Erdgeschoss voneinander ab und dennoch wartet jeder Raum mit seiner eigenen Atmosphäre auf, die Bodenfliesen laufen im Außenbereich weiter – so erweitert sich der Raum und verschmilzt allmählich mit der Natur. Keine Grenzen, keine Kanten. „Das Haus schmiegt sich innen und außen an die Umgebung an, sowohl an die Bewohner als auch die Natur“, so Hustedt. Die Decke über dem Küchen- und Veranstaltungsbereich ist der Prototyp einer Schwingdecke, wie sie später auch im Kulturzentrum Kassel zum Einsatz kam, die Hölzer der Aufteilung einer Glasfront verschmälern sich zu ihrem unteren Ende hin – der Effekt ist verspielt und lockert auf. Im großen Zimmer erweckt die geschwungene Decke die optische Täuschung einer gewölbten Wand.
„Wohnhaus Werner“ – Architekt Winfried Reindl
Der freie Architekt Winfried Reindl vom Karlsruher Architekturbüro Portus-Bau zeigt sich für das Gesamtkunstwerk, diesen Einklang zwischen Mensch und Natur, verantwortlich. Er blickt auf eine langjährige Erfahrung im Umgang mit ökologischen Baumaterialien und einer organischen Bauweise zurück. Bereits 1972 gründete der TU München- Studierte sein Büro für Planung und Projektbetreuung in Pforzheim und setzt seitdem viele neue Maßstäbe im Wohnbereich. Und dies auf der ganzen Welt, beispielsweise an der Privat-Universität in Kairo, die aus der mit dem Umweltnobelpreis dotierten Sekem-Initiative hervorging.
Weitere Portus-Bauten enstanden in ganz Deutschland, Norwegen, Luxemburg, Schweiz und Österreich. Reindl erschafft mit seinem Team funktionale und wirtschaftliche Architektur, die auch der menschlichen Komponente gerecht wird. Die Architektur, so ein Grundsatz des Unternehmens, soll dem Individuum Halt geben, um Freiheit für die Dinge zu erlangen, die es entwickeln möchte. Der Architekt soll Zukunftsaspekte des Bauherren erkennen und ihn in seiner Entwicklung unterstützen. Mit Erfolg. Viele Menschen lassen sich von der Atmosphäre des Durlacher Kunsthauses verzaubern und bleiben länger als ursprünglich geplant. „Es gibt genügend Galerien oder Konzerträume in Karlsruhe“, erläutert Hustedt. „Uns sind die Begegnungen in der Kunst wichtig.“ Die gemeinsame Basis für eine ergänzende Zusammenarbeit, in welcher der Mensch – ob in der Musik oder bildenden Kunst – im Mittelpunkt steht, wurde im Kunsthaus gefunden.
Bildergalerie zum Wohnhaus Götz Werner: